Tantrische Dominanz – Teil 1/2: Theoretische Hintergründe


Hallo, mein Name ist Lulu. Ich bin eine tantrische Domina. Immer wieder werde ich gefragt, was „tantrische Dominanz“ ist. Nun, auch wenn sich dies für manche vielleicht etwas schwierig nachvollziehen läßt – „it works“ 😉 Im ersten theoretischen Teil werde ich eine Definition von Tantra und danach von Dominanz/BDSM geben, wie ich sie verstehe und jeweils meinen persönlichen Bezug dazu aufzeigen. Dann werden wir schauen, welche Verbindungen es zwischen Tantra und BDSM gibt. Im zweiten Teil werde ich aus meiner Praxis berichten – wie ich damit umgehe. Es geht hier um sehr komplexe Themen. Man möge mir meine Vereinfachung nachsehen, ich fasse mich kurz und konzentriere mich auf das Wesentliche.

 

Teil 1: Theoretische Hintergründe zur tantrischen Dominanz

 

Was ist Tantra?

 

Das Wort Tantra bedeutet „ausdehnen“, „weben“, „Gewebe“, es beschreibt einen fortlaufenden Prozeß, ein System, eine Lehre und kommt aus dem alten Indien. Im tantrischen Schöpfungsmythos der Welt vereinigt sich Shiva, die Gottheit des reinen Bewußtseins, sexuell mit Shakti, der Göttin der reinen Lebensenergie. So gebären sie die Welt – Bewußtheit und Energie in sexueller Vereinigung. Tantra hebt die Dualität auf – aus zwei wird eins in der sexuellen Vereinigung und es kann etwas Neues entstehen. Sexualität ist etwas „Heiliges“. „Heilig“ kommt von „heil“ und bedeutet „ganz“. Durch die sexuelle Vereinigung wird man „ganz“ also „eins“ und in Ekstase wird man Teil des göttlichen Schöpfungsprozesses. Tantra betrachtet das Leben als fortlaufenden Schöpfungsakt. Tantra ist ein universelles Prinzip. Es umfaßt alles und feiert das Leben, die Spiritualität und die Sinnlichkeit. Das Ziel ist Erleuchtung. Es ist keine Religion, sondern spirituelle Praxis, ein spiritueller Weg der Selbsterkenntnis. Heute ist in der westlichen Welt das Neo-Tantra verbreitet – es ist auf die heutige Lebenswirklichkeit der westlichen Menschen angepaßt und vereinigt in sich verschiedene Strömungen aus Sexualwissenschaft, Psychotherapie, Meditation, Schamanismus, Yoga und Körperarbeit auf Basis spiritueller und tantrischer Philosophien. Die tantrische Energielehre unterscheidet die sexuelle Energie in die Polaritäten Yin (-) und Yang (+). Jeder Mensch hat einen eigenen Energiekreislauf im Körper. Jeder Mensch hat aber auch eine eigene Energiesignatur, ein natürliches Verhältnis dieser verschiedenen Energieanteile in sich. Die Anziehung der Menschen untereinander beruht auf diesen bioelektrischen Energieanteilen – jeder Mensch ist bestrebt „ganz“ zu werden und sucht sein fehlendes „Energiepuzzlestück“. Dies ist die Basis sexueller Anziehung – man spürt es, wenn es zwischen zwei Menschen „knistert“, wenn zwischen zwei Menschen „die Funken sprühen“. Durch die sexuelle Vereinigung wird man „eins“, wird Lust und Ekstase erlebt.

Der selbsterkenntliche Focus liegt auf Themen wie Bewußtheit, Körperlichkeit, erotische Sinnlichkeit, Selbstliebe, Achtsamkeit, Liebe, Herzöffnung, Freude, Leichtigkeit, Spaß etc. Ich fasse sie unter dem Begriff „Lichtthemen“ zusammen. Ziel ist es bewußter über sich zu werden und damit auch über sein Gegenüber, mit sich ins Reine zu kommen und seine innere Mitte zu finden, sich von der eigenen Bedürftigkeit zur Fülle zu entwickeln, sich dem Leben hinzugeben und sich in der Begegnung mit seinem Gegenüber zu verschenken, um eine größere Lust und Ekstase erfahren zu können (im Idealfall wenn dies beide so tun).

Ich selbst bin seit über 10 Jahren auf dem tantrischen Weg. Bei der Erkundung meiner weiblichen Seite bin ich auf Tantra gestoßen – dies hat mein Bewußtsein über mich und andere extrem erweitert. Ich habe viele Seminare und Workshops besucht. Auch meine männliche Seite habe ich dabei weiter erkundet und einen tiefen inneren Frieden gefunden. Ich habe mich so angenommen, wie ich bin – was anfangs sehr schwierig war – kann mich dem Leben hingeben – mich vom Leben „ficken“ lassen. Eine große Leichtigkeit des Seins ist daraus erwachsen: Ich lebe alle Facetten meines Selbst bewußt und lustvoll aus. Nach diesen Erfahrungen wollte ich tiefer in Tantra einsteigen und Hintergründe und Zusammenhänge erfahren, um auch anderen Menschen, meine positiven Erfahrungen weitergeben zu können und ihnen Anregungen für ihre eigene Entwicklung zu geben. Ich habe eine professionelle Ausbildung in Tantramassage gemacht sowie auch andere Massagestile kennengelernt und bilde mich stetig weiter.

 

Was ist Dominanz?

 

Ich setzte Dominanz mit BDSM gleich. BDSM ist eine Wortschöpfung, die verschiedene Begriffe miteinander vereint. Bondage und Disziplin, Dominanz und Submission, Sadomasochismus. Diese Begriffe spiegeln den weiten Raum, den BDSM umspannt. Dazu kommen noch verschiedene Fetische, welche in diesem Kontext ausgelebt werden. Viele sexuelle Spielarten können darunter subsummiert werden. Manche sind vielleicht nicht alltäglich – früher sogar als pervers bezeichnet worden. Die Sexualität ist Spiegel der Gesellschaft. Jede Gesellschaft hat die Sexualität, die sie „verdient“. Nicht der einzelne Mensch ist „krank“ – unsere Gesellschaft ist „krank“ / „pervers“. In unserer Gesellschaft werden die Menschen von sich selbst entfremdet – „man muß funktionieren“, „sich anpassen“, „was leisten“, „nur nicht aus der Reihe tanzen“, „ein braves Kind sein“ etc.

Dies führt dazu, daß wir uns verbiegen und unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche unserem Umfeld anpassen. Wir selbst bleiben dabei auf der Strecke und es entstehen psychosomatische Beschwerden und Depressionen – diese sind immer weiter in unserer Gesellschaft verbreitet.

Sexualität ist jedoch die stärkste Kraft, die ein Mensch hat – sie ist reine Lebensenergie – sie kann unbändig und wild, aber auch sanft und sinnlich sein. Von dieser Kraft wurden wir auch getrennt. Manche Religionen und totalitäre Staaten unterdrücken alle Erscheinungsformen von Sexualität. Damit sind wir in unserer heutigen Gesellschaft total von uns entfremdet und manipulierbar.

„Die Gesellschaft“ „hat die Rechnung aber ohne den Wirt“ gemacht. Von Natur aus ist der Mensch auf Heilung angelegt und er strebt soweit er kann danach, daß es ihm gut geht. Da kommt die unterdrückte stärkste Kraft des Lebens – die Sexualität – eben aus anderen Ecken wieder hoch. Sexualität ist so vielfältig wie es Menschen gibt – jeder Mensch hat seine individuellen sexuellen Phantasien und Vorlieben. Diese werden durch die Erfahrungen des Menschen geprägt. In diesem Kontext ist BDSM eine riesen Spielwiese für die unterschiedlichsten sexuellen Vorlieben. Diese sind, solange niemandes Grenzen verletzt werden, alle ein Ausdruck gesunder Sexualität und Lebensenergie, so sonderlich sie auch sein mögen.

BDSM ist auch ein Weg der Selbsterkenntnis, eine Lebensweise und Philosophie. Der selbsterkenntliche Focus liegt auf Themen wie Angst, Scham, Wut, Erniedrigung, Mißbrauch, Haß, harte erotische Sinnlichkeit, Spaß etc. Ich fasse sie unter dem Begriff „Schattenthemen“ zusammen. Für viele aber ist BDSM ganz einfach ein geiler Weg für sexuellen Lustgewinn – egal aus welchen Gründen auch immer – und das ist auch gut so. Die BDSM-Energielehre unterscheidet die sexuelle Energie in die Polaritäten passiv (-) und aktiv (+). Wenn sich zwei Menschen in diesem Spannungsverhältnis treffen, können ganz schön „die Funken fliegen“ – hierzu braucht es jedoch einen submissiven und einen dominanten Menschen, die beide voll in ihrer Rolle aufgehen. Ich nehme dabei im professionellen Kontext den dominanten Part ein und öffne den Erlebensraum für den submissiven Part.

Ich selbst bin seit über 20 Jahren auf dem BDSM-Weg. Sexuelle BDSM-Phantasien hatte ich schon in meiner Kindheit. Anfangs war ich männlich submissiv bei professionellen Dominas und habe meine weibliche Seite mittels Zwangsfeminisierung erkundet. Über das Tantra bin ich auch zu „bewußtem kink“ gekommen – einer Art tantrischem BDSM. Da mich BDSM so interessiert hat, habe ich verschiedenste Workshops besucht, auch eine professionelle Dominaausbildung gemacht und meine weibliche dominante Seite erkundet. Heute habe ich vollen Frieden gefunden – lebe in allen Rollen meine dominanten und submissiven Anteile aus. Diese eigenen Erfahrungen möchte ich auch an andere weitergeben und dabei natürlich auch selbst Spaß haben. Auch in diesem Bereich bin ich stets weiter am Experimentieren und lustvollem Forschen.

 

Was verbindet Tantra und BDSM?

 

Wieso muß man etwas verbinden, was zusammengehört? Im ursprünglichen „alten“ Tantra wären die heutigen BDSM-Praktiken ohne weiteres integriert gewesen. Nur im Neo-Tantra hat sich so eine Trennung in „Gut und Böse“ in Bezug auf BDSM ergeben. Dies ist wie oben ausgeführt unserer heutigen gesellschaftlichen Realität geschuldet. Tantra kennt kein Gut und Böse. Im Tantra sind die Licht- und die Schattenthemen ohne Wertung gleichbedeutend. Das Eine gibt es ohne das Andere nicht. Im Tantra und BDSM wird auf bewußte Weise Sexualität zelebriert – nur in unterschiedlichen Kontexten. Beide haben das gleiche grundlegende Energieprinzip – nur in unterschiedlichen Kontexten. Es dreht sich bei beiden um den sinnlich lustvollen universellen Tanz der sexuellen Energie. Mit oder ohne Absicht / Ziel geht es um Lust, Katharsis, Ekstase, Spaß, Selbsterfahrung, Freude am Sein und Leben in Leichtigkeit.