Tantrische Sexualität hat keine BDSM-Tabugrenze


Michaela Faridéhs Beitrag zum Thema „Tantra und SM“ im TantraNetz online-Magazin / September 2019: „Tantrische Sexualität hat keine BDSM-Tabugrenze“
Ich verweise auf den Tantranetz-Beitrag von Maya Maga und möchte ihren Artikel ergänzen, weil Tantra – gerade bei immer noch tabubelastetem BDSM – die Schattenthemen nicht ausschließen darf.

Freude an abgelehnten Rollen – kindliche Auseinandersetzung mit Tod und Teufel

Als Kind wählte ich spielerisch Rollen die mir ermöglichten, mich mit dem, was noch nicht Liebe ist auseinanderzusetzen.

Ich bemalte an Karneval ein T-Shirt mit roten Punkten, schrieb auf den Rücken „Vorsicht ansteckend“, und ging als Aussätzige auf die Straße. Das Durchfühlen negativ beurteilter, unerlöster Zustände faszinierte mich.

Später sagten Freunde, dass ich gerne „mit den Huren und Zöllnern esse“. Meine Zuwendung galt Menschen die Dinge tun oder verkörperten, die von anderen verurteilt oder verleugnet werden und deren Dasein nicht in gesellschaftliche Moralvorstellungen passen.

Ich war vor meinem kindlich-christlichen Hintergrund tief beeindruckt wie Jesus das tut, sich genau dahin liebevoll aufmacht zu integrieren und zu vereinen, wo andere sich abwenden. Die Verbindung von Heiligkeit und Liebe mit vermeintlicher Sünde und Vergebung hatte auf mich eine geradezu magische Anziehung und eine versteckte sexuelle Komponente.

In jeder Geschichte erschien mir der Bösewicht spannender, als der glorifizierte Held und der verurteilende Sieg über das Schlechte als Happy End unbefriedigend und unvollkommen, sofern keine Transformation stattfand.

Täter und Opfer passen an meine liebende Brust – mein bizarr-erotisches, auf Verbindung angelegtes Weltbild findet seinen Einsatz für das Abgelehnte, Dunkle und Mystische im BDSM.

Sexuelle Energie als Katalysator bringt Schattenthemen ins Fließen die integriert werden möchten

Breit aufgestelltes Tantra beweist in Verbindung mit modernen Therapien wie spielerisch angestoßene Prozesse die persönlichen Altlasten, Glaubenssätze und Leidthemen aus tiefer Unbewusstheit in die Annahme befördern.

Zu den Hilfsmitteln der Befreiung dessen was im Untergrund gärt, einem Leben in Freude noch im Wege steht, gemildert und geheilt werden will, zähle ich auch das bewusste Ausleben von BDSM.

Tantrische Praxis lehrt, aller Existenz Raum zu geben und genau hin zu spüren, ohne weiter aus Unwohlsein abzuwehren. In Verbindung zu gehen macht Angst, so dass Verdrängen und darüber hinweg Leben leichter ist, als alte Emotion erneut zu durchfühlen.

Wer aber frei werden möchte – vor allem in der Sexualität – muss durch Schattenthemen gehen, statt sie zu vermeiden.

Nur so befreit sich bisher Schmerzhaftes, Ungesehenes, Nichtintegriertes durch „Anerkennen dessen was ist“ und darf seinen schweren, negativen Einfluss im Durchfühlen bereinigen, zu Gunsten eines freudigen Lebens, das immer nur im Jetzt stattfinden kann.

Abgelehntes aus einer lebendigen Vergangenheit als Stachel der Sexualität

Themen aus der Kindheit, dem Familiensystem, der Ahnenreihe, aus früheren Leben wollen erlöst, Widerstand und Kampf entlassen werden, da sie permanent Energie verschleißen im Unterdrücken von überreifen Prozessen. Dann hat sexuelle Freude eine umfassende Chance, energievoll und ungebremst zu fließen, mitzunehmen in eine Liebe, die kein Gegenteil kennt.

Der nichtverurteilende, erlöste Umgang mit BDSM-Themen ist zutiefst tantrisch.

Die tantraferne Einteilung in gutgeheißene und abgelehnte sexuelle Praktik erscheint so unsinnig, als wolle man Licht und Schatten voneinander trennen, eine Spaltung in Gut und Böse vornehmen. Anerkenne ich nicht was im Dunkeln liegt, wird auch was ich gerne ins Licht rücken möchte keine großartige Kraft entfalten – im herzlichen wie im sexuell gelebten Ausdruck von Liebe. Der Widerstand gegen das Anerkennen schwächt und spaltet ab, was doch universell zusammengehören möchte.

„Nicht anhaften, nicht widerstreben, nicht werten und richten“ als spirituelle Basis für Tantra und BDSM

Keiner kann Mittel und Wege entscheiden die andere Menschen zum Ganzwerden brauchen, um an eine unter einem dicken Panzer verborgene, vor Verzweiflung und Schmerz negierte Geschichte ranzukommen und sie in die Heilung der Integration zu führen.

Ehe ich mich dem Tantra zuwandte, verbrachte ich Jahre in der BDSM-Szene, lernte dort was ein absichtsloses, von Liebe getragenes Ritual ist und wie tief befreiend und beflügelnd ein sexuelles Spiel sein kann, das von außen für den uneingeweihten Betrachter weder erstrebenswert noch ästhetisch oder erotisch anziehend wirken muss.

Was aber wird Befreiendes enthüllt, wenn ich meine verurteilend gefärbte Brille absetze und sehe, welche Feinde da zu Freunden werden, welche negativ belegten Erfahrungen da endlich an der Oberfläche zu sexueller Energie transformiert werden dürfen, statt weiter in der Tiefe ein Leben zu vergiften.

Glückwunsch an alle die sich trauen ihre Leichen auszugraben, statt sie weiter im Keller zu verbuddeln. Das erfordert so viel Mut!

Es gibt in diesem breiten Feld des sicheren, gesunden und einvernehmlich praktizierten Sexuallebens nichts Verwerfliches, wo Menschen mit Bewusstheit und Achtsamkeit lieben.

Weder ist jemand zu verurteilen der sich spielerisch mit den Schlägen auseinandersetzt, die er als Kind erhalten hat, den Schmerz nochmals bewusst durchfühlt, spürt wie es seine Art zu lieben geprägt hat und sich gerne demjenigen, der ihm diese erlösende Erfahrung ermöglicht ganz unterwirft, um am Ende in seinen Armen zu weinen und sich endlich gehalten statt verstoßen zu fühlen.

Noch sind Verurteilung und Verspottung angebracht für Erwachsene in Säuglingswindeln – die  kindlich ersehnter Fürsorge endlich freudig nah sind, statt ein ganzes Leben ein Loch zu fühlen, wo Zuwendung hingehört.

Der starke Mensch, der jahrelang glaubt, seine schwache Seite nicht zeigen zu dürfen ist nicht zu verlachen, wenn er es dann schafft, sie sexuell auszuleben und jemanden findet, dem er sich lustvoll hingeben und erdrückende Verantwortung endlich loslassen kann.

Gesellschaftliche Verurteilung und Diskriminierung versus Akzeptanz von Heilpotential im erneuten Durchfühlen

Da treffen sich die nach Integration und Heilung rufenden Energien von Kindern und Erwachsenen, von Hilflosen und Verblendeten, von Tätern und Opfern, von missbrauchten Gruppen und geschändeten Ahnen, von Auseinandersetzungen, Kriegen und anderen großen  Leidgeschichten, gleich ob auf der Seite der BDSM-Aktiven oder der -Passiven und oft auch in vertauschten Rollen.

Was kann ich kleiner Mensch wissen, wie Heilung funktioniert und was dazu führt, dass wir wirklich in fühlender, liebevoller Verbindung miteinander ankommen.

Ich freue mich für alle bewussten Menschen, die sich zu solch großen Dingen treffen, sich nicht mehr richten oder verspotten, sondern sich Steigbügel sind in Annahme und Anerkennung unseres Schicksals – woher erotische Vorliebe auch angeflogen kommen mag – gleich ob aus persönlicher sexueller Entwicklung, aus dem generell erfahrbaren, verletzten Schmerzkörper aller verbundenen Wesen oder aus der Geschichte unserer speziellen Ahnenschicksale.

Manches darf sich glückselig auflösen, wenn es bewusst und intensiv zum Licht geführt wird.

Wesentliches, das noch zu groß ist und immer wieder gesehen werden will, darf Wandlung erfahren im sexuellen Spiel und dadurch – zugunsten von gelebter Lust – für immer seine Schwermut und Bedrückung verlieren, auch wenn das Thema wiederholend ruft und in diesem Leben nicht ganz bewältigt werden kann.

Ich vermeide als Tantriker nicht, vereine mich befreit, lustvoll, energetisch und wesentlich, will über meine Geschichte in Liebe hinauswachsen. Dies alles ist Tantra und hat seine dunkle Paradedisziplin in den Themen des SM.

Die Huren und  Zöllner meiner Kindheit haben längst reale Gesichter bekommen an denen ich sehen kann, wie es mit meiner angestrebten, umfassenden Liebe schon steht. Sie begegnen mir permanent real und geschichtlich und prüfen mich täglich, die Kriegsanzettler, Amokläufer, Gashahnaufdreher, Drogen-im-Schulhof-Verkäufer, Chorknabenschänder und alle sonst, die mein Ego als Richter auf den Plan rufen und ich durch ihre Verurteilung mehr Gutmensch und Heiliger sein will, ohne es jemals zu sein.

Der Verurteilung keine Energie geben – stattdessen sehen, was mich spiegelt

Was mein Herz, das stets in die Liebe heimholen will, bisher am meisten berührt hat, war ein bizarres Paar, dem der Zutritt zu einer Partylocation verweigert wurde, weil ihre Geschichte zu groß war für den Veranstalter im eigenen Glashaus.

Einer trug eine stolze SS-Uniform, der andere Attribute eines gewaltgequälten Opfers.

Der entsetzte Veranstalter musste sie abweisen und ihnen das Recht auf spielerisches Hinsehen und Hinspüren verweigern.

Auf meine Nachfrage warum, war er ganz aufgelöst – seine Familie waren Juden, die Großeltern im KZ umgekommen – es empörte ihn daraus ein Spiel zu machen.

Ich hätte ihm gewünscht seine Chance zu nutzen, gemeinsam mit den Akteuren seiner Aufstellung, aus dem Schrecklichsten heraus in eine neue Verbindung zu gehen, wenn das Leidvolle sich im Gesehenwerden auflöst und durch transformative Sexualität von allem Schmerz, aller Sünde am Ende nur Liebe und gereinigte universelle Energie übrig bleiben.

Auch wenn für manche Menschen BDSM nur ein netter Mainstream in allen Betten ist und den BDSM-Gegnern das feine Spüren fehlt, um einvernehmliches Spiel von roher Gewalt oder ein befreiendes Aufstellen von Retraumatisierung zu unterscheiden, so dürfen sie es so sehen.

Ich weiß, sie haben ihre persönliche Geschichte dazu, sie können noch nicht anders – wenn sie aber bereit sind am Tisch zu sitzen, so essen ich auch mit Ihnen.