(M)Ein Weg der heiligen Hure


Beitrag von Maya Maga im Buch:

SEXARBEIT

Feministische Perspektiven

Vorwort

Bei meiner Selbstentfaltung war ich in starker Resonanz mit dem Lied „My way“ von Frank Sinatra. Wie auch die Titelübersetzung „So leb Dein Leben“ trifft dies ein universelles Thema eines jeden Menschen und ist nicht ohne Grund eine Hymne der queeren Szene. Von „meinem Weg“ möchte ich nun berichten. Zuerst werde ich mich vorstellen, damit Du liebe(r) Leser*in ein Verständnis von meiner persönlichen Perspektive bekommst. Dann beschreibe ich die (leider noch nicht glückliche) Haltung unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu Sexualität und beleuchte deren Ursachen aus meiner Sicht. Von dieser Ausgangslage her werde ich (m)einen Weg aus der Misere skizzieren. Dabei zeige ich auf, warum gerade Frauen eine besondere Bedeutung dabei zukommt. Leider kann ich vieles nur kurz anreißen und versuche daher, die Essenz herauszuarbeiten. Ich schreibe von mir und meinen Erfahrungen ohne wissenschaftlichen Anspruch. Ich lebe im „Hier und Jetzt“ und schreibe aus der Warte einer bewusst reflektierten, gelebten und erfahrenen Praxis.

Ein paar Worte zu mir

Willkommen bienvenue welcome im Varieté des Seins, der Lust und Liebe meinen Lieblingsbühnen im großen „Theater der Liebe“. Mein Name ist Maya Maga. Ich bin eine genderqueere TravestiekünstlerIn, TantrikerIn, tantrische Domina, Massage- und LiebeskünstlerIn, spirituelle HeilerIn, heilige Hure, pansexuelle ForscherIn und SpielerIn auf den Gebieten von Sein, Lust und Sexualität. Als Domina bin ich unter „Drag Lady Lulu“ on stage. Im Grunde genommen bin ich nun endlich „Ich selbst“ ein bewusstes, erwachsenes, intuitives Spielkind.

Das Leben betrachte ich als Bühne, auf der wir alle Theater spielen – jeder Mensch sein eigenes Stück auf der Suche nach Ganzheit und Heilwerdung. Zwei Wege führten mich zum Ziel: Der Weg des BDSM (Schatten) und der Weg des Neo-Tantra (Licht). Ich bin gern „Frau“ und verwandle mich perfekt in eine äußerlich „weibliche“ Erscheinung. Ich bin auch gern „Mann“. So wurde ich geboren und weitgehend sozialisiert. Am liebsten bin ich einfach Mensch und androgyn dazwischen. Ich kenne also beide „Welten“ und spiele gern das „Spiel der Geschlechter“ oder genauer gesagt das „polare Spiel“ mit den Energien von Yin und Yang.

Mein bürgerlicher Beruf, den ich in männlicher Form ausübe, ist Architekt. Dabei entwerfe ich äußere Entfaltungsräume für das menschliche Sein. Meine Berufung jedoch ist Sexarbeiter*in. Als solche schaffe ich Räume für ein inneres persönliches Wachstum. Ich verwende dazu verschiedene Methoden und Werkzeuge  insbesondere aus dem Tantra und BDSM. Einfach gesagt arbeite ich mit Energie. Alles ist Energie. Sexarbeit, wie ich sie ausübe und verstehe, ist reine Energiearbeit. Mittels der Energien aus dem zweiten und vierten Chakra (Verbindung von Sex mit Herz) gehe ich lustvoll-kreativ-spielerisch und herznah vor. Mit meinem Gegenüber spiele ich ein transformatives  an die Person angepasstes  „Theaterstück“. Ich „webe“ heilende Happenings als Feier des bewussten Augenblicks und der Lebensfreude. Heilung verstehe ich als „ganz“ Werden, als Integration aller Persönlichkeitsanteile, als Annehmen der verdrängten Schattenaspekte und als Ermöglichen eines freien und bewussten Fließens der sexuellen Energie im ganzen Körper. Mein Motto lautet: „Komm lass uns spielen“ – bewusst, mit Energie und Körper.

Gesellschaft und Sexualität – Spiegel von Entfremdung und Missbrauch

Als Architekturstudent habe ich mich ganz besonders dafür interessiert, wie sich gesellschaftliche Gegebenheiten in den verschiedenen Zeitaltern in gebauter Architektur niedergeschlagen haben. Architektur ist Stein gewordene Gesellschaft. Ein Blick auf sie spiegelt das gesellschaftliche Sein wider.

Schauen wir uns nun in diesem Sinne die Sexualität an: Auch Sexualität ist ein Spiegel der Gesellschaft. Ich selbst bin sehr katholisch geprägt aufgewachsen. Sexualität war in meiner Familie kein Thema  sondern ein Tabu. Sexuelle Regungen waren bei mir mit Scham- und Schuldgefühlen verbunden. „Das gehört sich nicht.“ oder „Das macht man nicht.“ sind starke Normen, von denen viele Menschen geprägt worden sind. In meinem Umfeld, im Kindergarten, in der Schule, an der Universität, in meiner bürgerlichen Berufspraxis und im öffentlichen Leben generell gibt es keinen entspannten Umgang mit Sexualität. Ich stelle die These auf, dass weit über 80% der Menschen in der Welt keinen entspannten Umgang mit ihrer Körperlichkeit und insbesondere ihrer Sexualität pflegen. Stattdessen haben wir einen verkrampften und bigotten Zugang. Paradoxerweise werden wir gleichzeitig in den Medien mit sexuellen Reizen überflutet. „Sex sells“ ist eine allgegenwärtige Marketingstrategie. Pornografie und Prostitution sind scheinbar krisensichere Geschäftsfelder. Die Pornoindustrie boomt und es bilden sich immer mehr Nischen, Fetische und „Perversionen“ heraus. Immer höher, immer weiter, allzeit bereit – der Leistungsdruck schlägt sich auch in der Sexualität nieder. Alles wird extremer und optimiert, ob wirtschaftliche Prozesse und Anlagen oder die Natur und der menschliche Körper. Hier läuft die Welt seit Jahrhunderten immer mehr aus dem Ruder und der Höhepunkt ist bald erreicht. Die patriarchale Weltordnung mit ihrem einseitigen Fokus auf die Yang-Energie (Das Yang-Prinzip ist zielgerichtet, eindringend, hell, hart und heiß im Gegensatz zum Yin-Prinzip, welches emphatisch, aufnehmend, dunkel, weich und kalt ist.) hat die ganze Welt an den Abgrund gebracht. Globale Umweltverschmutzung, Naturkatastrophen, Kriege, psychosomatische Krankheiten und Depression sind die äußeren Zeichen eines grausamen inneren Prozesses, dem ein Großteil aller Menschen ausgesetzt ist. Dieser grausame Prozess heißt Entfremdung. Der heutige Mensch ist von sich selbst entfremdet. Er  ist entfremdet von der Natur, seiner Körperlichkeit, seinen Bedürfnissen und seiner sexuellen Energie, also seiner reinen Lebensenergie. Wie sonst könnte sich so ein Wahnsinn in der Welt entfalten? Schon wenn ich beim Meditieren nur geringen Kontakt zum globalen seelisch-energetischen Schmerzkörper aufnehme, kann ich nur noch weinen. Es findet ein gewaltiger Missbrauch statt. Der Mensch missbraucht sich selbst. Das Yang missbraucht das Yin. Die Starken missbrauchen die Schwachen. Die Menschen missbrauchen sich gegenseitig in vielen Variationen. Der Mensch missbraucht Tiere. Der Mensch missbraucht die Natur. Der Mensch missbraucht seine natürliche Sexualität als pervertierte Sucht. Es ist ein Teufelskreis von Generation zu Generation, der scheinbar nicht durchbrochen werden kann.

Ursachen der inneren Entfremdung und Kompensationsversuche

Ich habe diese Entfremdung und ihre Kompensation selbst schmerzhaft am eigenen Körper erfahren, aber es ist mir glücklicherweise bewusst geworden. Auch sehe ich in meinem Umfeld und meiner beruflichen Praxis als Sexarbeiter*in immer wieder bestätigt: Die Ursache der inneren Entfremdung der Menschen liegt in der Unterdrückung der Sexualität. Sexuelle Energie ist reine, zur freien Entfaltung strebende Lebensenergie. Durch ihre Unterdrückung beginnt der Mensch, sich von sich selbst zu entfremden.

Was aber treibt diesen  grausamen Keil der Entfremdung bereits ab der Geburt in ein kleines, liebevolles, schutzbedürftiges und unschuldiges Menschenwesen?

Ein menschliches Kleinkind ist hilflos seinen Bezugspersonen ausgeliefert. Babys und Kinder brauchen Nähe und Zuneigung wie ihr „täglich Brot“. Selbst die liebevollsten Eltern können nicht immer da sein. Es kommt unweigerlich zu Situationen, in denen Angst erfahren wird. Traumatische Angstsituationen hinterlassen ihre Spuren im Körper in Form von Verhärtungen im Gewebe. Dies sind eingekapselte Emotionen. Wenn wir einer Situation nicht gewachsen sind und auch keine Option auf Flucht oder Kampf haben, dissoziieren wir dieses Erlebnis. Es findet eine Trennung von Geist und Körper statt und die Erfahrung wird unverarbeitet im Unbewussten des Körpers gespeichert. „Schatten“ legen sich auf die Seele.

Die Angst vor dem Verlust der Zuneigung einer Bezugsperson bleibt kaum jemandem erspart. Niemand möchte einsam, allein und verlassen in einer unbekannten Welt ausgesetzt sein. Eine Bewältigungsstrategie, um diese Liebe und Zuneigung zu erhalten, ist die Anpassung an das persönliche Umfeld. „Scheinbar unerwünschte“ Persönlichkeitsanteile werden ins Unterbewusstsein verdrängt. Weitere „Schatten“ fallen auf die Seele und im Körper entstehen immer mehr Verhärtungen. Über die Jahre legen wir uns dadurch eine „Rüstung“ an, die uns vor der äußeren Welt schützen soll, aber auch vor den „Schatten“ in unserem Inneren. Wir verhärten immer mehr und das freie Fließen der Lebensenergie wird stark eingeschränkt. Es entsteht ein Mangel, ein Hunger nach Lebendigkeit. Die Lebensenergie ist ja schließlich da, aber sie ist unterdrückt und blockiert. Wir nehmen nur ein „Rinnsal“ von ihr wahr. Wohin fließt jedoch der ganze Rest des gewaltigen Flusses reiner Lebensenergie? Er staut sich an und sucht sich andere Wege.

Kompensation ist ein Weg, der mal zu psychosomatischen Krankheiten oder zu Depressionen führt. Eine andere, „gesündere“ Variante ist es, den Druck über Süchte abzubauen. Sexsucht ist weit verbreitet. Die Pornografie bietet für jedes Bedürfnis ein entsprechendes Angebot. Traumatische Erlebnisse finden oft in Form einer speziellen sexuellen Vorliebe ihren Ausdruck. Diese künstlichen Fixierungen schränken leider den sexuellen Horizont sehr ein. Die damit einhergehende Selbstbefriedigung ist eine einigermaßen nebenwirkungsfreie Kompensation. Wenn sich die körperliche Sexualität nicht entfalten kann, sucht sich die sexuelle Energie andere Ventile für den Druckabbau. So entstehen immer mehr begrenzende  Fetische und Perversionen als Ersatz für eine freie, selbstbestimmte, körperlich bewusst gelebte Sexualität. Dies geschieht oft in Verbindung mit Scham- und Schuldgefühlen unter dem Einfluss von Religion und gesellschaftlicher Moral. „Perversion“ ist besser als Depression, jedoch führt das zu weiterer Verhärtung.

Auch Religionen (z. B. das Christentum) und insbesondere totalitäre Staaten unterdrücken die Sexualität und entfremden die Menschen von sich. Ein entfremdeter Mensch ist nicht in seiner Mitte und somit nicht in seiner Kraft. Er ist unfrei und leichter zu manipulieren und zu beherrschen.

Ein anderer Bewältigungsversuch ist es, im Außen zu Sexarbeiter*innen zu gehen. Der empfundene Mangel an Nähe, Zuwendung und Liebe soll von ihnen ausgeglichen werden. Primär geht es dann auch um die  Befriedigung sexueller Triebe und das Ausleben geheimer Phantasien. Die Gäste von Sexarbeiter*innen sind vorwiegend Männer und kommen aus allen Gesellschaftsschichten sowie aus allen Altersgruppen.

All diese Kompensationsversuche verurteile ich nicht. Ganz im Gegenteil, ich  finde dies ist ein wichtiger erster Schritt, um mit der ganzen Welt zurechtzukommen oder gar  Heilung zu finden. Das tiefe Sicherheitsbedürfnis der Menschen verhindert Veränderungen und  hält den Teufelskreis aus Entfremdung und die damit einhergehenden Kompensationsversuche aufrecht. Die Selbstregulation in einer vermeintlichen Komfortzone stabilisiert die Psyche. Der Mensch ist angepasst und „funktioniert“.

Eine Gesellschaft hat die Sexualität, die sie verdient. Anstatt mit unnützen und diskriminierenden Gesetzen, wie jüngst in Deutschland mit dem Prostituiertenschutzgesetz geschehen, an Symptomen „herumzudoktern“, muss sich etwas ganz anderes ändern: Die Haltung zur und die Praxis der gelebten Sexualität.

(M)ein Weg der Liebe und heiligen Sexualität – die heilige Hure

Ich kann die Gesellschaft nicht allein ändern, aber ich kann mich ändern. Dafür muss ich mich meinem Inneren zuwenden und meine Komfortzone verlassen. Es gilt, sich seinen „Dämonen“ zu stellen und in die Schatten-Bereiche der Seele vorzudringen. Die bewusste Körperarbeit mit Tantra und BDSM hat meine inneren Eisberge durch intensive sexuelle Energiearbeit schmelzen lassen.  Die dadurch freigesetzte Energie hat „viele Staudämme in mir zum Einstürzen gebracht“. Es war ein schmerzvoller Weg. Ich habe jedoch bisher keine einzige Träne bereut. Der Schatz, den ich fand, hat alles aufgewogen: Mein Selbst, meine Mitte, die Liebe zu mir selbst. Der Schlüssel dazu war die im Einklang mit dem Herzen bewusst gelebte Sexualität, eine heil oder ganz machende oder auch heilige Sexualität. Diese Erfahrungen möchte ich mit anderen Menschen teilen. Es ist mir eine Herzenssache, Menschen in ihre eigene individuelle Kraft zu bringen, damit sie sich von ihren einengenden Mustern befreien und eine freie selbstbestimmte Sexualität leben können.

Heute sind viele Frauen oft „falsche Männer“. Sie kopieren das Yang-Streben. Die meisten Frauen sind verunsichert und Opfer des Yang-Zeitalters. Sie sind nicht in ihrer Mitte und Kraft. Wichtig ist es daher, dass sich die Frauen wieder auf ihre Yin-Stärken zurückbesinnen. Frauen sind durch ihren Zyklus erdverbunden. Es umgibt sie das Mysterium der Geburt. Sie sind Spenderinnen des Lebens und vertreten den Mutter-Archetyp. Frauen sind daher der Yin-Energie näher als die meisten Männer. Um das Yang-Zeitalter zu transformieren und die Welt vor dem Untergang zu retten, muss die Yin-Energie gestärkt werden. Es soll nicht die Herrschaft der Yin-Energie errichtet werden, sondern ein liebevoller Ausgleich von Yin und Yang stattfinden. Dieser Ausgleich muss in jedem einzelnen Menschen passieren – egal ob Frau, Mann oder dazwischen.

Vorreiterinnen in diesem Prozess sind die Sexarbeiter*innen, die als „heilige Huren“ arbeiten. Sie sind im Frieden mit sich und der Welt. Sie sind in ihrer Mitte und Kraft durch den inneren Ausgleich der polaren Energien Yin und Yang. Sie sind im Einklang mit ihrem liebevollen Herzen (Archetyp Heilige) und ihrer wilden sexuellen Natur (Archetyp Hure). Sie sind verbunden mit der universellen sexuellen Energie, der reinen Lebensenergie. Sie können sich aus ihrer Fülle heraus verschenken: an ein Gegenüber, an die Gemeinschaft, an die ganze Welt. Sie sind Lehrer*innen und Bewahrer*innen der Liebe. Ihnen gebührt die gleiche soziale Anerkennung wie den Bewahrer*innen der Gesundheit (Ärzt*innen) oder den Bewahrer*innen des Rechts (Richter*innen). Mit ihrem Beispiel helfen sie anderen Frauen, in ihre eigene Kraft zu kommen. Solche Frauen sind Multiplikator*innen der Yin-Energie. Sie können Männern helfen, ihre Yin-Energie zu finden und somit eine globale Herzöffnung bewirken. In den Worten von Antoine de Saint-Exupéry „sieht man nur mit dem Herzen gut“. Somit kann die Yang-Epoche liebevoll durch das Yin zu einem Zeitalter des Ausgleichs transformiert werden.  Angestoßen durch eine Yin-Bewegung der Frauen können die Menschen die Yin- und Yang-Energie aussöhnen und es könnte somit eine Zeit des globalen Friedens entstehen. Durch das bewusste sowie von Herzensliebe geprägte Spielen und Tanzen mit der Energie in Form einer heiligen Sexualität rettet die Menschheit sich selbst und die Welt.

Heilige Huren braucht die Welt. Ich weiß, dass es schon viele davon gibt. Es ist mir eine große Ehre und ich bin von Herzen dankbar, dass ich mich zu diesem Kreis zählen darf.

Zum Schluss möchte ich noch eines meiner Lieblingslieder frei nach Marlene Dietrich zitieren:

„Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt und sonst gar nichts.

Das ist, was soll ich machen, meine Natur, ich mag die Liebe pur und das macht gar nichts.

Menschen umschwirr´n mich und suchen ihr Licht  und wenn sie es finden, dann freue ich mich.

Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn die sucht alle Welt und sonst gar nichts.“